Seed – Founding for Life
Gründung aus Lifestyle, für einige aufregendes Abenteuer nach dem Studium, für die anderen Spielzeug nach geglückter Karriere. Der Traum vom frühen Exit, reich werden und dann direkt das nächste Unternehmen starten: Wie oft hat die Gründung hierzulande überhaupt noch etwas mit “Existenz” zu tun? Zum Ende unserer Serie über nachhaltige Start-Ups in der Region Mannheim möchten wir den Blick in eine weit entfernte Gründerwelt wagen. Eine Welt, in der die Existenzgründung tatsächlich noch eine “existenzielle” Bedeutung hat: weil sie Menschen den Weg aus der Arbeitslosigkeit ebnet, ihnen erstmals ein unabhängiges Einkommen verschafft.
Wir konnten mit Carolin Ehrensperger von SEED, einer globalen Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung, über sogenannte “Eco-Inclusive-Enterprises” auf dem Afrikanischen Kontinent sprechen: Unternehmen, die ökologisch verantwortungsvolles Wirtschaften zum Teil ihres Geschäftsmodells gemacht haben – und das in Staaten, in denen Armut, mangelnder Zugang zu Trinkwasser und mangelhafte medizinische Versorgung den Alltag bestimmen. Carolin studierte Volkswirtschaft in München und International Affairs in Genf. Heute ist sie unter anderem in Ghana für den SAG-SEED Starter zuständig – einem Förderprogramm für die Gründung nachhaltiger Start-Ups in sechs afrikanischen Staaten. Im Interview mit uns spricht sie über ihre persönlichen Erfahrungen.
Carolin, gleich zu Beginn: Wie sieht ein typisches SEED-Gründungsteam aus?
Ein typisches Team gibt es nicht. Unsere Teams bestehen aus 2-5 Mitgliedern, die häufig sehr verschieden sind. Wir begegnen Menschen, die zwischen 18 und 60 Jahre alt sind, aus den unterschiedlichsten Regionen kommen, verschiedene Job- und Bildungshintergründe haben, teilweise schon andere Unternehmen haben oder frisch von der Uni kommen. Das ist schon manchmal schwierig, aber wiederum auch unglaublich spannend. So können die Teilnehmer sehr viel voneinander lernen. Mindestens eine Gemeinsamkeit haben die Teams aber trotzdem: Sie sprechen Englisch. Dies ist eine wichtige Voraussetzung, da unsere Workshops auf Englisch gehalten werden. In Burkina Faso starten wir in den nächsten Monaten dann auch auf Französisch.
Fast täglich scheint ein neues Unternehmen in Berlin gegründet zu werden. Medien sprechen von einem anhaltenden Start-Up-Boom. Welchen Stellenwert hat Entrepreneurship in Entwicklungsländern wie Ghana, wo SEED lokale Gründer unterstützt?
In Ghana finden viele Menschen, selbst mit Universitätsabschluss keinen Job, und entscheiden sich aus der Notwendigkeit heraus dazu, sich selbstständig zu machen. Menschen, die gesammelten Müll weiterverkaufen oder ihren eigenen Stand an der Straße errichten, sind Entrepreneure im kleinen Stil. Auch wenn diese Art von Entrepreneurship nicht hoch angesehen ist und oft im informellen Sektor stattfindet, ist sie dennoch wichtig: Oft ist es die einzige Möglichkeit Geld zu verdienen. Gründungen von Unternehmen mit Wachstumspotential wird ein immer größerer Stellenwert beigemessen, sowohl von der lokalen Politik als auch von internationalen Gebern. Vor allem wird ihnen großes Potential bei der Bekämpfung von Arbeitslosigkeit – insbesondere der Jugendarbeitslosigkeit – zugesprochen. In Ghana, Kenia und Uganda ist das Ecosystem im Bereich Social Entrepreneurship auch schon relativ weit, Eco-Entrepreneurship hinkt da noch etwas hinterher.
Große soziale Ungleichheiten, weit verbreitete Armut, und oft mangelnder Zugang zu Wasser- sowie Gesundheitsversorgung: Die sozialen Herausforderungen in vielen afrikanischen Staaten sind groß. Wie wichtig ist vor diesem Hintergrund überhaupt das Thema Nachhaltigkeit?
Stimmt, diese Herausforderungen dominieren in vielen afrikanischen Staaten tatsächlich den Alltag. Insbesondere in Ghana, hat sich in den vergangenen Jahren vieles sehr positiv entwickelt: Als erstes Land südlich der Sahara konnte Ghana die Armut innerhalb seiner Bevölkerung und den Anteil der Menschen ohne Zugang zu sauberem Trinkwasser im Vergleich zu 1990 halbieren. Im aktuellen Wahlkampf etwa liegt die Hauptpriorität auf der Beschaffung von Arbeitsplätzen – insbesondere auch um die Kraft der Jugend zu entfalten. Und dabei spielt die Förderung von Entrepreneurship eine große Rolle.
Das Thema Nachhaltigkeit tritt da aktuell etwas in den Hintergrund, aber grundsätzlich hat Ghana ein riesiges Potenzial für eine nachhaltige Entwicklung in den kommenden Jahren – gerade auch im Bereich Energie.
SEED Starter fördert dennoch explizit Startups in Entwicklungsländern, in denen – genauso wie in Ghana – das Thema Nachhaltigkeit angesichts unmittelbar existenzbedrohender sozialer Probleme nicht an allererster Stelle stehen dürfte. Wieso also dieser Fokus?
Bei der Gründung von SEED wurde von Anfang an der Fokus auf Entwicklungs- und Schwellenländer gelegt. Denn dort gibt es nicht nur die Notwendigkeit sondern durchaus auch die Möglichkeiten eine Wirtschaft aufzubauen, die soziale und ökologische Belange tatsächlich in ihr Kerngeschäft einbezieht und dadurch zur nachhaltigen Entwicklung beizutragen – zwar auf kleinen Niveau, aber dafür sehr intensiv. Nicht die Mehrheit, aber immer mehr Menschen, entwickeln ein Bewusstsein dafür, wieviel Müll herumliegt, oder dass immer weniger Fische in den Flüssen schwimmen. Sie sind hoch motiviert Lösungen für diese Probleme zu finden.
Inwieweit haben die eco-inclusive-Startups von SEED die innovativen Technologien zur Verfügung, die sie für die Umsetzung ihrer Geschäftsideen brauchen und welche Hürden müssen sie auf dem Weg zur Gründung meistern?
Wir unterstützen vor allem “Small and Growing Businesses”, sprich Unternehmen, die zunächst häufig mit nur 5 bis 20 Angestellten starten. Diese Unternehmen haben es aufgrund ihrer Größe sehr schwer, an Finanzmittel zu kommen und verzichten aus diesem Grund eher auf die häufig sehr kostspielige technologische Komponente. Aber auch der Import einer kleinen Maschine zur Weiterverarbeitung von Lebensmittel kann bereits Hürden, wie Transportkosten und Importzölle aufwerfen. Dann sind Geduld und gute Kontakte gefragt.
Wenn die Gründer selber innovative Technologien entwickeln, müssen sie mit einigen rechtlichen und bürokratischen Hindernissen etwa bei der Patentierung kämpfen.
[ut_parallax_quote] Motivation, Überzeugung und der Wille zur Veränderung sind unabdingbar für Gründer, egal in welchem Land. [/ut_parallax_quote]
Wie unterscheiden sich die Gründer von westlichen Gründern in Bezug auf Spirit und Commitment um diese Herausforderungen dennoch zu überwinden?
Einige Eigenschaften sind sicherlich sowohl für Gründer in Ghana als auch für jene in Deutschland unbedingt notwendig. Dazu gehört der Umgang mit den zahlreichen Rückschlägen auf dem Weg zur Gründung. Motivation, Überzeugung und der Wille zur Veränderung sind unabdingbar für Gründer, egal in welchem Land.
Die Gründer in Ghana müssen jedoch häufig noch flexibler sein: Herausforderungen können hier manchmal noch unvermittelter auftreten und sind häufig schwieriger einzuschätzen. Das sind sogenannte ‚VUCA Environments‘: volatile, uncertain, complex, and ambigous. Alleine um den Markt abzuschätzen, fehlt es hier an den notwendigen Daten und alles basiert letztendlich auf Annahmen. Mit der in Deutschland weit verbreiteten “Desk Research” kommt man in Ländern wie Ghana nicht weit.
Auch ist es in Ghana gängig, das zur Gründung notwendige Kapital aus der eigenen Tasche oder mit Hilfe der Familie aufzubringen. Denn selbst private Kredite verlangen hier Zinsen von 30 bis 40 Prozent – das ist für unser westliches Verständnis kaum vorstellbar, denn den Gewinn, um diese Summen zurück zu bezahlen, muss ein Unternehmen gerade in den ersten Jahren erst einmal abwerfen…
Wie umgehen die Gründer in Ghana diese riesigen Hürden bei der Gründungsfinanzierung? Gibt es noch andere Wege an Startkapital zu kommen?
Manchmal gibt es die Möglichkeit über Freunde günstigere Kredite im Ausland aufzunehmen, Gelder von Unternehmen im Rahmen von CSR, Beihilfen von staatlichen Programmen oder internationalen Gebern, und in letzter Zeit entstehen Plattformen zur Vernetzung von Investoren und Unternehmen. Die Suche nach dem passenden Programm ist aber arbeitsintensiv, und bevor man erste Erfolge am Markt vorzeigen kann ist es noch schwieriger Gelder zu bekommen. Die Gründer sind daher gezwungen umzudenken und sich eher auf schlanke, sogenannte “Lean-Start-Ups” zu konzentrieren.
Diese Herangehensweise versuchen wir in den Starter Workshops verstärkt zu vermitteln. Viele Gründer denken am Anfang, dass viele Maschinen und eine große Fabrik unumgänglich sind. Wir ermutigen sie aber gerade am Anfang dazu, vieles im kleineren Rahmen auszutesten, noch bevor sie diese großen Investitionen tätigen. Wieso also nicht zunächst einmal in der eigenen Küche starten und erst dann teure Maschinen anschaffen, wenn sich das Konzept bewährt hat? Das verhindert, dass viele Ressourcen – Zeit und Geld – in Produkte gesteckt werden die niemand will oder die nicht profitabel sind.
[ut_parallax_quote] Die Wichtigkeit der nicht-finanziellen Unterstützung wird häufig unterschätzt. [/ut_parallax_quote]
Sind die Gründer nach dem Support durch SEED Starter bereit, das Day-to-Day Business in der Zukunft vollkommen eigenständig zu meistern oder bietet ihr von eurer Seite aus noch weiterführende Hilfestellungen an?
Das ist sehr unterschiedlich. Einige sind nach unseren “Starter Months” sehr gut gewappnet, um alleine weiterzugehen – andere benötigen weiter Unterstützung auf ihrem Weg. Beim SEED Starter steht die Entwicklung der Strategie und des Geschäftsmodells im Fokus. In den Workshops geben wir mit Tools Strukturen und stellen die richtigen Fragen, um Ideen anzustoßen. Bereits während der Workshops erarbeiten die Teams greifbare Outputs, die dann natürlich auch umgesetzt werden müssen.
Später, wenn die Start-Ups größer werden, brauchen sie dann je nach Geschäftsmodell spezifischen Support in Bereichen wie Marketing, Accounting oder Logistik. Das hängt auch stark von den Fähigkeiten ab, die die Gründer mitbringen. Daher achten wir auch darauf, dass eben Teams am Starter teilnehmen, damit verschiedene Fähigkeiten abgedeckt werden.
Weiterhin können sie über eine erfolgreiche Crowdfunding Kampagne zusätzlichen Support gewinnen und sich im nächsten Jahr für die SEED Awards bewerben. Dadurch erhalten sie tiefergehende Unterstützung, die auf individuell auf ihr Unternehmen zugeschnitten ist. Die Wichtigkeit der nicht-finanziellen Unterstützung wird häufig unterschätzt.
Der SEED Starter hilft Gründern auf dem Weg in die Selbstständigkeit – ihr schafft somit Perspektiven für ein Leben in finanzieller Unabhängigkeit. Beschäftigt ihr euch mit der Messung der sozialen Wirkung, die ihr durch eure Unterstützung erzielt?
Eine sogenannte “Impact Study” vor Ort im herkömmlichen Sinne würde Unmengen an Ressourcen verschlingen und mehr Geld kosten als wir momentan in die Zusammenarbeit mit Unternehmen stecken: Alleine bei den SEED Awards, bei denen wir solche Unternehmen auszeichnen, die bereits auf den Markt gegangen sind, haben wir mittlerweile 202 Gewinner in 37 Ländern.
Stattdessen messen wir unsere Wirkung mit Hilfe von Case Studies: Über Interviews vor Ort oder per Skype versuchen wir, die Entwicklung der Unternehmen zu erfassen, die wir auf ihrem Weg unterstützt haben. Letztes Jahr haben wir anlässlich des 10-Jährigen Jubiläums von SEED einen Flagship-Report geschrieben. Da haben wir alle SEED Award Gewinner – zu dem Zeitpunkt 175 – angeschrieben und von fast 90 Prozent Rückmeldungen darüber bekommen, was sie bisher erreichen konnten.
Und das ist auch unser Anspruch für die Zukunft: Wir unterstützen die Gründer bei ihren ersten Schritten – aber den Weg zum Ziel müssen sie alleine meistern. Das Zeug dazu haben sie!
Carolin, vielen Dank, dass du dir für uns Zeit genommen hast!
Liebe Leser, wie hat euch das Interview gefallen? Was haltet ihr von der Idee, jungen Entrepreneuren in Afrika bei der Gründung ihrer Start-Ups unter die Arme zu greifen? Schreibt es uns doch einfach in die Kommentare!
© Die Fotos wurden uns freundlicherweise von der adelphi research gemeinnützige GmbH zur Verfügung gestellt.
Über die Autoren:
Kathrin Kirsch
CSR/SE
Kathrin studiert im dritten Semester Master in Management und ist Teil des Online Content Teams. Sie liebt es in ihrer Freizeit Hockey zu spielen, an der Isar joggen zu gehen und arbeitet momentan bei adelphi research in München, dem Projektträger von SEED.
Daniel Wallinger
Co-Founder, former Head of CSR/SE
Daniel ist Co-Founder, war im vergangenen Jahr Vorstand für Social Entrepreneurship und initiierte den Blog sowie Newsletter der Initiative. Er studiert BWL im fünften Semester und arbeitet gerade im Business Development eines Berliner Startups, das Geflüchtete dabei unterstützt, hier in Deutschland ihr eigenes Unternehmen zu gründen.
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