Riga, wo liegt das gleich nochmal? Irgendwo im Norden Europas, über Polen und unter Skandinavien, oder? Bevor ich mich mit bestem Wissen und Gewissen für mein Auslandssemester entscheiden konnte, musste ich Ecosia erst mal mit einer Reihe von Suchanfragen löchern (Die Suchmaschine kennst du nicht? Probier‘s mal aus!). Schnell war dann klar: Riga ist mit ca. 700 000 Einwohnern im Stadtgebiet und einer Million Menschen im Ballungsgebiet die größte Stadt des Baltikums, bestehend aus Lettland, Estland und Litauen. Die Stadt liegt nicht weit vom Meer entfernt und ist somit per Land-, Luft- und Wasserweg erreichbar. Perfekt!Da denke ich mir, dann muss ich nicht fliegen.

Als ich mich dann etwa einen Monat vor Semesterstart um ein Fahrticket kümmern möchte, sinkt die Euphorie schnell. Ich merke schnell, dass es mit einem Handgriff nicht getan ist, verglichen dazu, wie einfach man einen Flug buchen kann. Erst mal heißt es: Recherche. Die 1840 Kilometer, die ich von Haustüre zu Haustüre zurücklegen werde, lassen sich leider nicht in einem einzigen, durchgehenden Transportmittel zurücklegen. Als ich Google Maps frage, fällt mir für einen langen Moment die Kinnlade runter. Mir werden Bus- und Zug-Fahrten vorgeschlagen, bei denen ich nachts mitten in der Pampa in Polen mit einem Taxi zum nächsten Bahnhof fahren soll, um dann über Weißrussland (viel zu östlich!) wieder Richtung Norden zu fahren. Puh! So hatte ich mir das eigentlich nicht vorgestellt. Ich muss zugeben, ich bin kurz am Zweifeln. Wie ich da bis spät in die Nacht vor meinem Laptop sitze und einfach keine zufriedenstellende Option finde, das war nicht gerade motivierend. Aber ich denke mir: Egal! Natürlich mache ich das! Irgendwie wird es schon gehen, egal wie abenteuerlich. Schnell wird auch klar, dass ich die Strecke mit Rücksichtnahme auf Hintern, Bewegungsapparat, aber vor allem auf meine Nerven nicht innerhalb eines Tages zurücklegen kann. Also entscheide ich mich die Fahrt auszudehnen und einen Zwischenstopp einzulegen. Bietet sich ja auch förmlich an, wenn man nicht aus 10 000 Metern Höhe auf die Miniaturlandschaften hinabschaut. 

Für eine ausgedehnte Städtetour habe ich leider keine Zeit, aber immerhin statte ich Warschau einen 24-stündigen Besuch ab. Und so nimmt meine Reiseroute langsam, aber sicher eine greifbare Form an. Mit dem ICE fahre ich nach Berlin (Kosten: 25€). Dort treffe ich für einen kurzen Plausch meine beste Freundin am Bahnhof. Hat sich also schon gelohnt der erste 40-minütige Zwischenstopp! Dann geht es mit der polnischen Bahn weiter in Richtung Warschau (Kosten: 14,50€). Der erste Zug ist sehr komfortabel, die Sitze sind groß und eine Polin hilft mir mit meinem Gepäck, worauf hin wir ins Gespräch kommen. Sie sagt sie wünscht sich, dass mehr Touristen in ihr Land kommen. Nicht wegen dem finanziellen Aspekt, sondern weil Polen in den europäischen Medien immer als stark konservativ und nach innen gerichtet dargestellt wird. Dabei fehlen den Menschen ihrer Meinung nach dort nur die Berührungspunkte mit anderen Kulturen.

Das bringt mich zum Nachdenken. Für uns in Deutschland, aber vor allem in Mannheim, ist der Kontakt mit anderen Kulturen keine wirkliche Besonderheit mehr. Aber dass es diesbezüglich in einem angrenzenden Land vielleicht schon ganz anders aussieht, und das wiederum eineGesellschaft prägt, darüber habe ich mir bisher noch keine Gedanken gemacht.

Bevor wir überhaupt eine größere Stadt erreichen, denke ich mir: Schon allein wegen der Landschaft lohnt sich ein ausgedehnterer Polen-Besuch. Nach der Grenze fahren wir an wunderschöner Natur vorbei. Von Sonnenstrahlen gestreifte Wälder, verwachsene Seen und Teiche sowie gelbgrüne Wiesen mit hohen Gräsern ziehen am Fenster vorbei. Mit jeder Station wird der Zug voller, bis die Menschen sogar auf den Gängen sitzen müssen, was allerdings niemanden wirklich zu beeindrucken scheint. In Poznan muss ich dann in einen anderen Zug umsteigen. Trotz Verspätung schaffe ich es noch in den, mindestens genau so vollen, dritten und letzten Zug für den Tag. Hier wird es schon etwas enger im Abteil, das ich mit vier älteren Herrschaften und zwei Menschen in meinem Alter teile. Einer der beiden spricht zum Glück sehr gut Englisch, was sehr praktisch für die Übersetzung der Zug-Durchsagen ist. Die sind nämlich alle ausschließlich auf Polnisch. 

Dreizehn Stunden nachdem ich meine alte Haustür in Mannheim verlassen habe komme ich in Warschau am Hauptbahnhof an. Zuerst mal Geld wechseln! Ich bin immer wieder überrascht, dass manche EU-Mitgliedsländer (noch) nicht den Euro eingeführt haben. Wenn man es sich anders herum überlegt, ist einem normalerweise im Urlaub in Italien, den Niederlanden oder Österreich ja überhaupt nicht mehr bewusst, wie unheimlich praktisch es eigentlich ist, sich keine Gedanken machen zu müssen wie „Wo kann ich zum besten Kurs Geld wechseln?“, „Wie viel brauche ich jetzt eigentlich?“ oder „Wie viel ist das nochmal in Euro?“.

Zum Glück finde ich gleich (und trotz der fortgeschrittenen Uhrzeit) eine Wechselstube. Zum Hostel kann ich laufen, also muss ich keinen Transport mehr zahlen. Reisekosten für den Tag: 39,50€. Ich kann mich nicht beklagen. Am nächsten Tag ist super Wetter und ich laufe einfach mal drauf los. Zufällig stoße ich zu einer Free-Tour, was ich wirklich allen empfehlen kann, die eine Stadt besser kennen lernen wollen. Dabei lerne ich auch zwei super liebe Australier kennen, mit denen ich den Tag verbringe. Und so schnell war der Tag auch wieder rum und ich bin auf dem Weg zu meinem Direktbus nach Riga. Fünfzehn Stunden Busfahrt liegen vor mir. Ich habe extra die 10€ teurere „VIP“-Variante mit mehr Beinfreiheit und Gepäckplatz gebucht (Kosten: 40€). 

Der Zwiebellook – unabdingbar auf langen Fahrten!

Es stellt sich natürlich raus, dass das „Upgrade“ überflüssig und übertrieben war. Der Bus ist sehr neu und daher sowieso komfortabel. Komischerweise habe ich auch einen Einzelplatz, neben dem kein zweiter Sessel steht. Ja, du stellst dir das schon richtig vor! Die ersten 5 Reihen im Bus waren auf einer Seite doppelt, auf der anderen einzeln bestuhlt. Seltsames System, wenn man mich fragt. Immerhin ist somit die Wahrscheinlichkeit, einen unangenehmen Sitznachbarn zu haben, gleich Null. Aber wie das so auf langen Busfahrten ist, ist der Schlaf nicht gerade von hoher Qualität. Was ich allerdings allen rate, die halbwegs ungestört in einem Verkehrsmittel schlafen wollen, ist das ultimative Reise-Kit bestehend aus: Ohropax (die aus Wachs haben es wirklich drauf!), ein Schlafhörnchen (in Kombination mit einem Pulli und/oder Arm als Stütze optimal) dicke Socken und eine Schlafmaske. Allgemein ist der Zwiebellook wirklich das einzig Wahre für so eine Fahrt, nachdem man nie weiß wie/ob der Bus klimatisiert ist. Als wir dann gegen Mittag am folgenden Tag in Riga ankommen ist mein Hintern ganz schön plattgedrückt. Am liebsten würde ich die 30 Minuten zu meiner neuen Wohnung laufen, aber der sperrige Koffer und mein Reisebackpack überzeugen mich schnell davon, doch den Bus zu nehmen, mit dem ich in 15 Minuten am Ziel bin. 

Dass ich überhaupt so viel Gepäck dabeihaben kann, ist natürlich auch dem Umstand geschuldet, nicht geflogen zu sein. Ganz grundsätzlich kann ich natürlich niemandem verkaufen, dass der Landweg bequemer oder unkomplizierter sei. Er ist mit einem Mehraufwand verbunden, für den man Zeit und Ressourcen haben muss. Allerdings muss ich auch sagen, dass diese Reise mich weder überstrapaziert noch an den Rande meiner Nerven gebracht hat. Tatsächlich bin ich schon auch ein bisschen stolz, dass ich es mir nicht durch einen Direktflug einfach und bequem gemacht habe. In den ersten zwei Wochen, die ich jetzt hier bin, habe ich sogar eine Hand voll Leute getroffen, die es genau wie ich gemacht haben. Alle aus Deutschland. Liegt es daran, dass Deutschland einfach näher als Italien oder Portugal liegt, oder ist das Bewusstsein ein anderes? Das gilt es noch herauszufinden, in den nächsten 4 Monaten, die ich hier verbringen werde. Bis jetzt, bereue ich weder die Anfahrt noch die Wahl der Stadt. Riga ist wirklich eine Reise wert!

Über die Autorinnen:

Marlies studiert PoWi und macht seit Anfang September ihr Auslandssemester in Riga. Den ,,umständlichen” Weg mit Bus und Bahn hat sie nicht nur der Umwelt zuliebe gewählt: Er hat auch einfach mehr zu bieten!