refimo – Chancen für Geflüchtete
Erst vor einem Jahr absolvierte Christoph Stiefel seinen Bakuwi Bachelor in Anglistik und BWL an der Universität Mannheim, hat in der Zwischenzeit mit drei Kollegen refimo – eine Ausbildungsvermittlung für Geflüchtete – gegründet und wohnt heute in Palo Alto, Silicon Valley, Kalifornien.
„Läuft bei ihm“ könnte man denken und das tut es auch. Allerdings ist refimo (bisher) nur auf dem deutschen Markt aktiv und der Grund, wieso er derzeit im Silicon Valley, dem Ursprung vieler Tech-Start-Ups, wohnt, ist ein Praktikum im Produktmanagement bei SAP. Im Interview spricht er auch über die Rolle von Sozialunternehmertum in Europas aktueller Flüchtlingsproblematik und zieht den Vergleich zum Leben mit dem Thema Migration in den USA.
Christoph, Du hast mit refimo eine IT-Lösung entwickelt und arbeitest gleichzeitig für das Softwareunternehmen SAP im Silicon Valley. Welche Rolle spielt die SAP bei der Gründung von refimo?
Ich bin seit zweieinhalb Jahren bei der SAP als Werkstudent. Die Idee für refimo kam mir jedoch durch Zufall auf einem SAP-Teamevent, bei dem wir mit Geflüchteten gebowlt haben. Das war auch das erste Mal, bei dem ich näher in Kontakt mit Geflüchteten gekommen bin und persönlich von deren Problemen erfahren habe. Die meisten hatten keine Ahnung, wie sie sich in dieser Gesellschaft verhalten sollen: Wie funktionieren gewisse Abläufe? Wie sollen sie studieren oder arbeiten, ohne die Sprache zu beherrschen?
Auf der anderen Seite ist mir auch bewusst, dass heute in den Mangelberufen (Krankenpfleger, Handwerker, IT) viele Ausbildungsplätze frei bleiben. Sehr viele Schüler bekommen heute ihr Abitur, die meisten gehen heute aufs Gymnasium, dann will natürlich auch fast jeder studieren – und vor diesem Hintergrund sind Ausbildungen nicht mehr so attraktiv.
Mein Wunsch mit refimo war es dann, diese beiden Parteien irgendwie zueinander zu bringen: also das Überangebot an Ausbildungsplätzen auf der einen und die Motivation vieler Geflüchteter sich hier zu integrieren und zu arbeiten auf der anderen Seite.
Wie genau schafft es refimo Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt zueinander zu bringen und wie weit seid ihr heute bei der Entwicklung dieser Lösung?
Refimo ist eigentlich eine Seite im Internet, auf der sich sowohl Geflüchtete mit ihren wichtigsten Daten und Kenntnissen, als auch Unternehmen mit freien Ausbildungsplätzen und den jeweiligen Anforderungen registrieren können. Sobald refimo ein Paar gefunden hat, das gemäß der „hard facts“ gut zueinander passen könnte, wird zunächst der Geflüchtete per Mail kontaktiert und erst, wenn er sein Einverständnis gegeben hat, werden die Kontaktdaten ausgetauscht und es findet dann in aller Regel ein Bewerbungsgespräch statt.
Bisher konzentrieren wir uns dabei auf Kleine und Mittelständische Unternehmen (KMUs) in der Region Rhein-Neckar, die bei uns heute 318 offiziell anerkannte Ausbildungsangebote inseriert haben.
Dabei bieten wir ganz bewusst keine Minijobs an, denn wir wollen denjenigen, die langfristig hier bleiben möchten, tatsächlich eine Perspektive bieten. Gängig ist auch, dass die Geflüchteten ein paar Wochen als Praktikanten anfangen, damit beide Seiten schauen können, ob das denn passen könnte mit einer Ausbildung.
An welchen Stellen erlaubt es euch dieses Geschäftsmodell, damit das nötige Geld zu verdienen?
Wir vier bewegen uns heute mit einem sehr geringen Budget, das wir momentan noch immer aus privaten Mitteln aufbringen.
Trotzdem ist das Angebot bisher bisher für beide Seiten komplett kostenlos. Der Markt in dem wir uns bewegen ist noch sehr wenig erforscht und wir müssen erst selbst erfahren, wie unser Angebot angenommen wird. Es kann sein, dass wir fünf Leute vermitteln – dann haben wir schon einmal fünf Leute mehr vermittelt, als es ohne uns der Fall gewesen wäre. Dann haken wir refimo als Erfahrung ab, hatten eine geile Zeit, haben viel gelernt und wir haben fünf Menschen geholfen.
Wenn wir aber tausende vermitteln – was angesichts 1,3 Millionen Geflüchteten in Deutschland theoretisch möglich wäre – dann überlegen wir uns natürlich, von den Arbeitgebern eine Gebühr für die Vermittlung zu verlangen. Die wird aber eher gering sein, denn wir wollen in erster Linie unsere eigenen Kosten decken (Serverkosten, rechtliche Beratung etc).
[ut_parallax_quote]Vielen Unternehmern ist das Risiko zu hoch mit Menschen zusammenzuarbeiten, die aus einem völlig anderen Kulturraum kommen.[/ut_parallax_quote]
Der Markt, auf dem ihr euch bewegt, ist auch mit sehr vielen Emotionen beladen – inwiefern beeinflusst das eure Arbeit?
Wir bewegen uns auf einem sehr schwierigen Terrain – auf der einen Seite gibt es rechtsgesinnte Menschen, die uns beleidigen, weil wir helfen wollen. Auf der anderen Seite gibt es Menschen, die uns selbst schnell als Rassisten bezeichnen und sagen „Geflüchtete sind doch keine Ware“. Wir versuchen uns da zwischen beiden Seiten durch zu balancieren, weil wir ganz einfach die Notwendigkeit sehen und den Geflüchteten eine Perspektive bieten wollen.
Welchen Herausforderungen stehen denn Geflüchtete hier in Deutschland gegenüber und inwiefern kann refimo da helfen?
Die Problematik ist, dass es viele Menschen hier unter den Geflüchteten gibt, die rein rechtlich arbeiten dürfen und es auch wollen, die aber keinen Zugang zum Arbeitsmarkt haben. Die Bundesagentur für Arbeit bietet natürlich auch sehr viel in diesem Bereich – sie war anfangs jedoch mit der Situation überfordert und rehabilitiert sich im Moment. Unser Ziel ist es, dem lokal ansässigen Metzger oder Handwerker, die momentan Auszubildende suchen, zu zeigen: hey, im Flüchtlingscamp in deinem Dorf gibt es eine junge Frau oder einen jungen Mann aus Syrien, die dir genau da helfen könnten, weil sie motiviert sind und weil sie so eine ähnliche Tätigkeit in ihrer Heimat schon einmal gemacht haben. Und genau diese „Matches“, die es in tausendfacher Weise dort draußen vermutlich schon gibt, die aber noch nichts voneinander wissen, wollen wir schnell und unkompliziert zueinander bringen.
Wie viel bleibt von deinem Wunsch, eine unkomplizierte Lösung zu bieten, angesichts der sicherlich doch eher komplizierten Rechtslage beim Thema Integration auf dem Arbeitsmarkt übrig?
Ja, tatsächlich gibt es sehr viele rechtliche Auflagen, das ist ein Labyrinth. Wir haben das auch einmal versucht graphisch darzustellen, das sah schrecklich aus!
Das erste Problem: die rechtlichen Voraussetzungen ändern sich oft.
Zweitens: Wir können die Situation und ihre rechtlichen Bedingungen nie verallgemeinern, denn es kommt fast immer auf den Einzelfall an.
Die Probleme sind zwar sehr groß, aber nicht unlösbar. Vor allem nicht, wenn wir uns von refimo tief hineinarbeiten und unsere Erfahrungen an sowohl den Arbeitgeber, als auch den potenziellen Arbeitnehmer weitergeben können. Wenn allerdings alle Parteien für sich versuchen, sich da immer wieder auf den neusten rechtlichen Stand zu bringen und das Ganze dann mit den Behörden klären müssen, dann ist der Prozess sehr mühsam.
[ut_parallax_quote]Ich war in der Landeserstaufnahmestelle in Mannheim, und das Bild, das sich mir dort zeigte, war schon ziemlich trist.
Viele langweilen sich und haben mich gefragt, ob ich einen Job für sie hätte.[/ut_parallax_quote]
Wie überzeugt ihr Unternehmen, Ausbildungsplätze über eure Plattform auszuschreiben und welche Reaktionen auf das Angebot von refimo habt ihr dabei erfahren?
Es ist sehr schwierig über online-Kanäle „traffic“ für eine online-Lösung zu generieren. Das effizienteste Mittel der Akquise ist daher momentan noch der persönliche Kontakt vor Ort oder am Telefon. Die Reaktionen sind dabei sehr unterschiedlich. Vielen Unternehmern ist das Risiko zu hoch mit Menschen zusammenzuarbeiten, die aus einem völlig anderen Kulturraum kommen. Häufig ist nicht endgültig geklärt, ob die potenziellen Arbeitnehmer langfristig hier bleiben und neben dem hohen, abschreckenden bürokratischen Aufwand ist natürlich die Sprache eine weitere sehr hohe Hürde: Dass die Geflüchteten fließend Deutsch sprechen ist nach wie vor die Ausnahme – auch wenn sie schon ein, zwei Jahre im Land sind. Aber das ist auch klar: Viele haben einfach nicht die Möglichkeit, regelmäßig mit der deutschen Sprache in Kontakt zu sein. Hinzu kommt, dass manche Menschen nur sehr geringe Qualifikationen mitbringen – manche haben nie in ihrem Leben die Schule besucht.
Auf der anderen Seite gibt es auch solche Arbeitgeber, die sehr dringend Arbeitskraft suchen und die sich dann mit den gegebenen Umständen arrangieren. Häufig gibt es auch schon Mitarbeiter im Unternehmen, die beispielsweise Arabisch sprechen und als Dolmetscher fungieren können. Und es gibt natürlich auch solche, die die soziale Notwendigkeit der Integration sehen, und gewisse Hürden dennoch in Kauf nehmen.
Ich kann mir auch vorstellen, dass bei gewissen Berufen die Bereitschaft zur Einstellung von Geflüchteten höher ist, als bei anderen…
Ja auf jeden Fall, und zwar über all dort, wo der Kundenkontakt nicht im Mittelpunkt steht.
Du hast vor dem Entschluss zur Gründung von refimo sicherlich mit einigen Geflüchteten reden können. Mit welchen Zielen sind diese Menschen zu uns gekommen?
Viele sind sehr motiviert, ihre Familie nach Deutschland zu holen, um hier Fuß zu fassen und langfristig etwas aufzubauen – aber natürlich nicht alle. Es gibt vermutlich in allen Bevölkerungsgruppen Menschen, die lediglich vom Sozialstaat profitieren wollen. Einige der Geflüchteten wollen jedoch auch nicht dauerhaft in Deutschland bleiben, sondern zurück in die Heimat sobald sich die Lage dort entspannt hat oder zu Verwandten, die in anderen Ländern aufgenommen wurden.
[ut_parallax_quote]Daher denke ich tatsächlich, dass der Zugang zur Arbeit einen sehr großen und wichtigen Beitrag zur Integration leisten kann![/ut_parallax_quote]
Was hast Du vom Alltag in den Flüchtlingsheimen miterlebt?
Ja, das ist ein großes Problem. Ich war in der Landeserstaufnahmestelle in Mannheim, und das Bild, das sich mir dort zeigte, war schon ziemlich trist. Viele langweilen sich und haben mich gefragt, ob ich einen Job für sie hätte. Und aus dieser Not heraus rutschen dann viele in die Schwarzarbeit ab. Denn: Wenn die legalen Wege nicht zum Ziel führen, dann werden eben illegale genutzt. Einige haben das Glück, einen Deutschkurs besuchen zu dürfen und während der restlichen Zeit verbringen sie ihre Zeit in der Innenstadt.
Daher denke ich tatsächlich, dass der Zugang zur Arbeit einen sehr großen und wichtigen Beitrag zur Integration leisten kann! Die Menschen haben plötzlich einen geregelten Arbeitsalltag, müssen sich nicht mehr so oft langweilen, sie verdienen eigenes Geld und kommen über ihre Kollegen in Kontakt zu Kultur und Sprache des Gastgeberlandes.
Nun gibt es ja sicherlich einige Stellen, an denen man die Welt von heute weit verbessern könnte. Es gibt Menschen wie Anna Wahala, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, mit einem ganz besonderen Supermarktkonzept gegen den Plastikmüll auf der Welt anzukämpfen. Du auf der anderen Seite möchtest Geflüchteten hier in Deutschland den Zugang zum Arbeitsmarkt und somit die Integration in unsere Gesellschaft erleichtern. Wieso gerade dieser soziale Gedanke?
Meiner Meinung nach haben wir gerade heute die Gelegenheit, die immense Zuwanderung durch erfolgreiche Integration langfristig als Chance für unser Land zu gestalten. Denn Statistiken beweisen ja: Um langfristig unseren heutigen Wohlstand aufrecht erhalten zu können, sind wir auf Zuwanderung geradezu angewiesen.
Wenn es uns heute allerdings nicht gelingt diese großartige Chance zu nutzen, bilden sich sehr schnell Parallelgesellschaften, die uns in Zukunft allen zur Last fallen werden – die Terroranschläge in Paris und Brüssel zeigen, wozu das führen kann.
Andere Menschen setzen sich in Rahmen von freiwilliger Arbeit, Vereinen, NGOs etc. für das Wohl der Geflüchteten hier in Deutschland ein. Du hast daraus ein Geschäftsmodell entwickelt. Wieso dieser Ansatz einen sozialen Zweck mit unternehmerischen Mitteln voranzutreiben?
Ich denke zum einen bieten die Mechanismen der Wirtschaft die Chance auf langfristige Lösungen, und genau die sind es, die wir beim Thema Migration brauchen. Andererseits gibt es auch genügend Menschen, die zugunsten des Profits für ihr Unternehmen über Leichen gehen. Das gibt mir aber nichts, das würde mir keinen Spaß machen – daher die Kombination. Wenn ich eins während meiner Zeit im Silicon Valley gelernt habe, dann, dass viel Geld nicht glücklich macht.
Wenn wir gerade bei deinen Eindrücken aus den USA sind: Wie nimmst Du die amerikanische Haltung gegenüber der Aufnahme von Geflüchteten wahr?
Migration findet hier größtenteils von Südamerika und Mexiko in die USA statt. Was jedoch die amerikanische Haltung zum europäischen Flüchtlingsproblem angeht, bin ich ziemlich enttäuscht. Zusammen mit Frankreich und Großbritannien hat die USA einen sehr großen Anteil an der Instabilität der weltpolitischen Situation, die die Zuwanderungsströme nach Europa erst verursacht haben. Gleichzeitig halten sich genau diese Länder bei der Aufnahme von Zuwanderern aus Ländern wie Syrien nicht nur vornehm zurück, sondern Politiker wie Donald Trump kritisieren auch noch die Gastfreundschaft und Aufnahmebereitschaft unter anderem der Deutschen Regierung um Angela Merkel.
Hier in Kalifornien nehme ich vor allem mexikanische Zuwanderer wahr, und diese sind fast ausschließlich als Gärtner, Kellner, Köche und ähnlichen Jobs tätig. Auch vor diesem Hintergrund würde ich es mir wünschen, dass wir Zuwanderern hier in Deutschland die Möglichkeit geben, eine Ausbildung zu machen oder zu studieren, damit diejenigen, die langfristig bei uns Fuß fassen möchten, bei der Wahl ihres Berufes dieselben Freiheiten genießen wie alle anderen Mitbürger auch.
Christoph, vielen Dank für das Gespräch!
Liebe Leser, wie hat euch das Interview gefallen? Was haltet ihr davon Ausbildungsplätze an Geflüchtete zu vermitteln, um ihre Integration zu beschleunigen? Schreibt es uns doch einfach in die Kommentare!
© Die Fotos wurden uns freundlicherweise von der Refimo UG zur Verfügung gestellt.
Über den Autor:
Daniel Wallinger
Co-Founder, former Head of CSR/SE
Daniel ist Co-Founder, war im vergangenen Jahr Vorstand für Social Entrepreneurship und initiierte den Blog sowie Newsletter der Initiative. Er studiert BWL im fünften Semester und arbeitet gerade im Business Development eines Berliner Startups, das Geflüchtete dabei unterstützt, hier in Deutschland ihr eigenes Unternehmen zu gründen.
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