Wir wollen immer schneller, größer, besser werden und höher hinaus – doch kann ständiges Wachstum auf Dauer aufrecht erhalten werden – und wenn ja, zu welchem Preis? Genau diese Frage wurde am Mittwoch in unserer Podiumsdiskussion mit Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft – wie Postwachstumsökonomie-Begründer apl. Prof. Dr. Niko Paech, Chefredakteur des enorm Magazins Marc Winkelmann, CSR Vorstand Dr. Johannes Merck der Otto Group, Grünen Politiker Dieter Janecek (MdB) sowie dem Mannheimer Absolventen Dr. Alexander Brunst von Caterwings – diskutiert.

„Wenn man davon redet, dass etwas wächst, dann haben wir in der Regel immer den Eindruck, dass etwas vorangeht.“ – so eröffnete Moderator Marc Winkelmann, Chefredakteur des enorm Magazins, die Podiumsdiskussion am Mittwochabend. Je mehr geleistet wird, desto wahrscheinlicher kommt es zu Wachstum, aber was zieht dieser Wohlstand nach sich? Winkelmann macht deutlich, dass unser Verständnis, wie viel genug ist, immer problematischer wird: Ergebnisse sind der Klimawandel, Profitgier und Globalisierung. Wir müssen uns die Frage stellen: Ist diese Art von Wohlstand – immer mehr, immer besser – automatisch eine Glücksstrategie? Auch Wachstum ist endlich; irgendwann werden Grenzen erreicht, natürliche Ressourcen verbraucht und das Zusammenleben wird zum Problem.

„Die einzige ökologische Produktion ist die, die nicht wachsen kann.“

So Postwachstumsökonom Paech, der zum Umdenken der Definition von Wachstum aufruft. Dennoch sieht er immer noch die Möglichkeit zu unternehmerischem Wachstum, wenn eine generelle Wirtschaftsentkopplung stattfindet. Große Unternehmen müssen verdrängt und der Konsument dazu bewegt werden, weniger zu verbrauchen. Dieser Schrumpfungsprozess führt zu einem Ziel der Postwachstumsökonomie (PWÖ): die Senkung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) – in den Augen Paechs ist dies nämlich kein geeignetes Maß für das Wohlbefinden der Bevölkerung.

 

Postwachstumsökonomie

Ist eine Wirtschaft, die ohne Wachstum des BIP über stabile, wenngleich mit einem vergleichsweise reduzierten Konsumniveau einhergehende Versorgungsstrukturen verfügt und einen Wandel von Lebensstilen, Versorgungsmustern und Produktionsweisen anstrebt.Fünf Entwicklungsschritte zur PWÖ:

  1. Entrümpelung und Entschleunigung
  2. Balance zwischen Selbst- und Fremdversorgung
  3. Regionalökonomie
  4. Stoffliche Nullsummenspiele
  5. Institutionelle Innovationen: Boden- und Geldreform

(Quelle: postwachstumsoekonomie.de)

Unfähigkeit und Verblödung: das sind laut Paech die Folgen des Internets als „Antithese zur Nachhaltigkeit“; nichts da mit technologischem Fortschritt als Grundlage für nachhaltigeres Verhalten.  Denn “Sharing is (not) caring” – Leihservices wie Carsharing seien hier keine wirklichen Alternativen: “Es sind immer nur physische Verlagerungen, aber sicherlich keine langfristige Lösung für ökologische Probleme”.

Auch Grünen Politiker Dieter Janecek positioniert sich wachstumskritisch. „Planetarische Grenzen werden bald erreicht. Was wir brauchen sind Veränderungen in Mobilität, Energie und Landwirtschaft“ – er ruft zum Überdenken derzeitiger Werte auf und kritisiert die politische Trägheit. Die Politik müsse diesen Wandel anführen und Alternativen erkennen, anstatt die Folgen unseres Verhaltens zu verdrängen.

Rege Fragen aus dem Publikum

Dr. Alexander Brunst – früher selbst Student an unserer Universität, heute Co-Founder und Managing Director bei Caterwings – sieht hingegen keine Gefahr im Wachstum. Ganz im Gegenteil: Man müsse aggressiv wachsen und so hat er sich die weltweite Marktführung von Caterwings als Ziel gesetzt. Innerhalb von eineinhalb Jahren ist aus dem Ein-Mann-Unternehmen ein sich stetig entwickelndes Unternehmen mit 65 Mitarbeitern geworden. Caterwings hat erkannt, dass sich ein bisher unveränderter Markt auf einmal vitalisiert und man sich mit dem digitalen Zeitalter bewegen muss. Diese Entwicklung impliziert aber auch eine interne Verantwortung, soziale Nachhaltigkeit und globale Gerechtigkeit zu fördern.

Diesen Wertewandel voranzutreiben hat sich ebenfalls Dr. Johannes Merck, CSR Vorstand der Otto Gruppe, vorgenommen. Das Unternehmen spürt den Handlungsdruck, nachhaltigere Produkte zu vermarkten, aber gleichzeitig sei die geringe Nachfrage ein Grund für die Externalisierung der Kosten. Dies bedeutet, dass Unternehmen weiterhin höhere Gewinne machen, während letztlich die Gesellschaft und die Umwelt den Preis dafür zahlen. Merck gesteht, dass die romantische Vorstellung von einem unternehmensinternen Wertewandel nicht immer so einfach umsetzbar ist: der ökologische Fußabdruck der Otto Gruppe liegt – bei derzeit 13 Milliarden Euro Umsatz – bei fast 2 Milliarden Euro. Bei gleichbleibenden Spielräumen sei die Internalisierung der Kosten schlichtweg zu teuer solange der Markt keine Nachfrageimpulse für nachhaltigere Produkte setze.

„Wer gibt dem Menschen das Recht,ökologisch über seine Verhältnisse zu leben?“

Laut Niko Paech ist es ein Paradox, dass wir immer mehr individuelle Selbstverwirklichung anstreben, gleichzeitig aber keine Verantwortung übernehmen. Die Welt braucht Pioniere: da sind sich alle Referenten des Abends einig, aber was soll die Rolle der Politik in diesem Schrumpfungsprozess sein? Während Janecek und Merck die Verantwortung der Politik als Gestalter der Rahmenbedingungen betonen, ist Brunst ganz klar gegen ein Eingreifen der Regierung. Wachstum sei ein Ergebnis von Marktveränderung, so dass es die Aufgabe der Unternehmen sei, soziale Nachhaltigkeit zu verlagern. Auch Paech sieht den Staat nicht als primären Gestalter von Nachhaltigkeit. Unternehmertum stehe für aktive, radikale und kreative Prozesse – diese implizierten auch, dass man unternehmerische Verantwortung übernehmen müsse, um den Strukturwandel anzutreiben.

Innovative Geschäftsideen wie Ottos Leihservice sollen Nutzen statt Produkte verkaufen und den Markt fördern. Doch diese Transformation geht mit Risiken einher und ist oftmals nicht mit dem Return on Investment des Unternehmens vereinbar. Auch Paech betont, dass genau deswegen weiterhin für jeden durch Wachstum erbrachten Euro 1 bis 5 kg CO2  Ausstoß produziert werden. Anders formuliert: materieller Reichtum und Nachhaltigkeit sind nicht miteinander vereinbar.

Diese ökologische Rücksichtslosigkeit trägt Folgen mit sich und unser CO2 Rucksack wird immer schwerer. Paech appelliert dazu, diese pathologische Rücksichtslosigkeit zu überdenken: Es ist unsere individuelle Verantwortung, als vorgespieltes Beispiel den Wandel innerhalb der Peergroup zu kommunizieren. Das Individuum als Treiber von Nachhaltigkeit wird dann zum wandelnden Kommunikationsinstrument, das zeigt, dass Umdenken möglich ist.

Ein materialisierter Beweis; genau das ist Paech, der andere nicht kritisiert, ohne sich selbst an die Nase zu fassen. Er versucht seinen ökologischen Fußabdruck so klein wie möglich zu halten: Secondhand-Kleidung, keine Flugreisen, weniger Fleischkonsum. So will er wenigstens seinen eigenen CO2 Ausstoß im Gegensatz zu den durchschnittlichen elf Tonnen pro Person reduzieren. Laut eigener Aussage beträgt dieser derzeit vier Tonnen.

Schlussendlich stellt sich die Frage: Ist Wohlstand ohne Wachstum wirklich möglich? Nach 90 Minuten voller interessanter Beiträge der Referenten und kritischer Fragen des Publikums wird deutlich, dass es keine einfache Antwort auf diese Frage gibt. Dennoch wird eins klar: es muss sich etwas ändern. Paech sieht eine Einführung von CO2 Grenzen als eine Lösung, betont aber bis zum Schluss die Notwendigkeit individueller Verantwortung. Das bedeutet, dass alle Verantwortung übernehmen müssen  – Unternehmen, Konsumenten und Regierung. Nur so wird ein Umdenken zur Nachhaltigkeit und Suffizienz möglich – ganz im Sinne des Leitbilds des enorm Magazins: „Zukunft fängt bei Dir an“.

Von Links nach Rechts: Dr. Alexander Brunst, Dieter Janecek, Susanne Anderegg, Prof. Dr. Laura Marie Schons, Dr. Johannes Merck, Marc Winkelmann, Dr. Nico Paech, Roman Acht

Wir bedanken uns nochmal herzlichst bei unserem Mitorganisator, dem Lehrstuhl für Corporate Social Responsibility der Universität Mannheim, unseren Sponsoren (Freudenberg, Absolventum Mannheim, Freunde der Universität Mannheim, Grimminger, enorm, LBBW) und natürlichen den Rednern, ohne welche so eine spannende und mitreißende Diskussion nicht möglich gewesen wäre.

 


Über die Autorin:

Rebecca Neumayr
Public Relations
Rebecca studiert im 4. Semester Anglistik mit BWL im Bachelor und ist Teil des PR Ressorts. Aktuell arbeitet sie als studentische Hilfskraft bei der Mannheim Business School.

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